Martin Grünstäudl hat in seinem Blog die folgende Frage gestellt:
“Sollten Blogger und Autoren auf gendergerechte Sprache achten?”
Das ist eine spannende Frage zu einem sehr kontrovers diskutierten Thema, welches ich sehr interessant finde, und so möchte ich mich mal an einer Antwort versuchen.
Vor einiger Zeit hatte ich im Büro ein Gespräch – das Thema habe ich vergessen – bei dem wir ganz selbstverständlich von “dem Chef” und “der Sekretärin” sprachen, obwohl es keine konkreten Bezugspersonen gab. Das hat mich etwas stutzig gemacht, und so haben wir etwas darüber geredet, wieso wir hier eigentlich genau diese Geschlechterverteilung annehmen.
Wir stellten fest, dass wir rein grammatikalisch gar nicht anders konnten, als uns ein Geschlecht herauszusuchen. Als wir über Chef und Sekretär sprachen, mussten wir ihnen Geschlechter zuordnen, und die gewählten waren jene, die uns intuitive am wahrscheinlichsten vorkamen. Sprache wurde hier zum Ausdruck unserer Vorurteile.
Problemdefinition
Die deutsche Sprache unterteilt alle Substantive und Pronomina nach Geschlecht. Es könnte schlimmer sein, romanische Sprachen machen das auch mit den Adjektiven. Aber diese grammatikalische Struktur bedeutet, dass wir uns immer und überall auf ein Geschlecht festlegen müssen. Wir können das Geschlecht aus rein grammatikalischen Gründen gar nicht unerwähnt lassen.
Im Finnischen kann man stundenlang über eine Person sprechen ohne auch nur ein mal das Geschlecht zu spezifizieren. Selbst im Englischen geht das mehr oder weniger gut, wo zum Beispiel the author keinen Rückschluss auf das Geschlecht zulässt. Erst das Pronomen (he, she) verrät dies. Das Deutsche gibt uns hierfür fast keine Möglichkeiten.
Wir haben gar nicht die Möglichkeit, über eine Person unspezifierten Geschlechts zu sprechen. Genausowenig gibt es eine korrekte grammatikalische Form, um über eine Gruppe von Personen unterschiedlichen Geschlechts zu sprechen. Das ist gerade für Autoren sehr einschränkend. Warum zwingt mich meine Sprache eigentlich dazu, immer und immer wieder das Geschlecht einzelner Personen so in den Vordergrund zu stellen? Warum kann ich nicht einfach über eine Gruppe von Menschen unterschiedlichen Geschlechts sprechen?
Aber neben künstlerischen Einschränkungen hat dieser Geschlechtswahlzwang auch direkte Auswirkungen auf den Leser. Es fällt vielen Menschen nicht auf, aber wenn wir eine männliche Berufsbezeichnung hören und anschließend aus dem Text herauslesen, dass die Person weiblich ist, stolpern wir kurz darüber, während unser Hirn unsere Weltrepräsentation anpasst. Das ist mittlerweile wissenschaftlich recht gut untersucht (z.B. von Godfrey 2012). Prewitt-Feilino et al (2012) haben sogar eine statistisch signifikante Korrelation zwischen der gesprochenen Sprache und der generellen Gleichberechtigung in verschiedenen Ländern zeigen können.
Wir als Schreibende haben es hier mit einem echten Kommunikationsproblem zu tun. Denn für uns ist die wichtigste Aufgabe unsere Ideen gut und verständlich zu formulieren.
Und auch wenn in Zeiten von Alltagssexismus und epidemischer Gewalt gegen Frauen eine leicht diskriminierende Sprache nicht unbedingt zu den wichtigsten Themen gehört, kann man sich des Problems durchaus annehmen.
Lösungsvorschläge
Nun gibt es verschiedene Ansätze um die grammatikalische Zwangsjacke abzustreifen. Als Autoren sind wir ja geradezu auserkoren mit unserer Sprache zu spielen und solche Probleme anzugehen.
Generisches Maskulinum
Eine recht verbreitete Idee ist einfach das Maskulinum zu verwenden und damit die Frauen halt mitzumeinen.
Das ist zwar gut gemeint, aber leider realitätsfern. Wie oben bereits erwähnt, aktiviert das generische Maskulinum die männliche Erwartung, auch wenn wir das vielleicht gar nicht wollen. (Godfrey 2012)
Ganz besonders schön konnte man jedoch die Grundlage des Problems beobachten, als die Universität Leipzig vor einiger Zeit die Universitätssatzung im generischen Femininum gesetzt hat. Der Aufschrei war groß. Es dauerte auch nicht lange, bis den armen Studenten (männlich) erklärt wurde, dass sie nicht befürchten müssten eventuell mit einer weiblichen Form bezeichnet zu werden. Und all das, obwohl die Satzung ganz explizit sagt, dass Männer bei der weiblichen Form mitgemeint sind.
Obwohl dieses Ereignis durch die halbe Medienlandschaft getragen wurde, und sich fast jeder aufregte, was denn der Universität Leipzig so einfallen würde, kam kaum ein Kommentator (männlich) auf die Idee zu fragen, warum man sich beim generischen Maskulinum eigentlich nicht genauso aufregt. Insgesamt zeigt mir das recht deutlich, dass das generische Maskulinum eben keine Lösung ist, sondern allenfalls eine Kapitulation vor dem Problem.
Alternativnennung
Eine häufige Lösung besteht in der Alternativnennung, zum Beispiel mit Schrägstrich (Student/in), mit Binnen-I (ProfessorIn), mittlerweile seltener mit Klammer (Richter(in)), oder auch vollständig ausgeschrieben (Leser und Leserinnen).
Diese Lösung macht die Inklusion deutlich, jedoch finden einige Menschen, dass diese Konstrukte den Lesefluss stören.
Als Sonderform möchte ich hier noch auf Versuche wie Stundent_in hinweisen, die explizit durch die Lücke darauf hinweisen wollen, dass die reine Zweiteilung der Geschlechter die Realität nur mangelhaft abbildet.
Alternierende Nennung
Je nach Textsorte kann das Geschlecht der auftretenden Personen auch problemlos alternieren. Wenn ich von einem Benutzer spreche, ist das im jeden zweiten Fall eben eine Benutzerin. Diese Lösung verwende ich ganz gerne, um Geschlechtserwartungen der LeserInnen entgegen zu wirken. Aber es ist leider keine generelle Lösung.
Substantivierte Partizipien
Im Deutschen sehen substantivierte Partizipien im Plural sowohl in der männlichen als auch in der weiblichen Form gleich aus, was sie zu einer echten, grammatikalisch korrekten gendergerechten Alternative macht. Dazu gehören die mittlerweile überall vertretenen Studierenden, aber auch die in der Straßenverkehrsordnung kürzlich aufgetauchten Fahrradfahrenden.
Auch wenn diese Wörter erstmal holprig wirken, gewöhnen sich Sprecher recht schnell daran. Studierende sind mittlerweile fester Bestandteil des Vokabulars, wie man daran sehen kann, dass immer mal wieder die Singularform – also ein Studierender – verwendet wird, bei der die genderneutralität ja gar nicht mehr gegeben ist. Aber der Begriff hat sich eben etabliert.
Dies ist, neben der erstmal holprigen Eingewöhnungszeit, auch das größte Problem. Diese Genderneutralität funktioniert nur im Plural. Für den Singular, also die Nennung einer Person ohne gleich den Fokus auf das Geschlecht zu setzen, ist das keine Lösung.
Fazit
Die wichtige Erkenntnis ist hier erstmal: Die starke Geschlechtsorientierung der deutschen Sprache ist ein Problem. Sie zwingt uns dazu, das Geschlecht aller Akteure in den Vordergrund zu setzen, und bei den Lesenden wird dadurch auch gleich die Geschlechtserwartung aktiviert.
Leider gibt es (noch?) keinen wirklich guten Lösungsvorschlag. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Textschreibende können sich hier frei bedienen und ihre Texte jeweils so fassen, wie sie es in der jeweiligen Situation für angemessen erachten. Welche Lösung der/die jeweilige Autor/in dabei jedoch einzeln wählt ist einfach eine individuelle Entscheidung.
Wichtig dabei ist mir nur, dass das Problem nicht abgetan wird. Die persönliche Auseinandersetzung damit halte ich für sehr wichtig. Wenn ein Autor sich anschließend für ein generisches Maskulinum entscheidet, weil ihr die anderen Möglichkeiten für den aktuellen Text nicht zusagen, dann ist das ok. Jedoch einfach zu behaupten, dass das generische Maskulinum gar kein Problem ist und man sich halt nicht so haben soll, wäre realitätsfern.
Ebenso sollte sich niemand über andere Schreibende aufregen, wenn diese eine andere Form wählen.
Es gibt eben keine gute Lösung. Und das ist schade.